Die Werre, das Wehr und die Brücken
Von Gerd Prinzhorn – Februar 2024
Von Gerd Prinzhorn – Februar 2024
Die Werre, erstmals erwähnt anno 784 in den fränkischen Reichsannalen als Waharna, ein Fluss, der prägend für das Ortsbild und auch schicksalhaft für Werste ist, entspringt im Lippischen Bergland bei Horn-Bad Meinberg, legt bis zur Mündung in die Weser rd. 79 km zurück und überwindet dabei 205 Höhenmeter. Von je her sind Werre und Sielwehr reizvolle und beliebte Ausflugsziele. Die Werre hat aber auch ein anderes Gesicht. Sie ist, wie andere Flüsse auch, geneigt, hin und wieder mal ihr Bett zu verlassen, so beim Jahrhunderthochwasser im Februar 1946 und jüngst an Weihnachten 2023. Gefahr und Attraktion zugleich.
Man schrieb das Jahr 1753, als an der Werre das Sielwehr (Siel =Schleuse, Durchlass) als eine der ältsten Einrichtungen der damaligen Saline Neusalzwerk erbaut wurde. Diese Stauanlage diente dazu, einen Teil des Werrewassers dem Kokturkanal (lat. Coquere = kochen, weil in der Saline das Salz gekocht wurde) zuzuführen. Das Wasser wurde also genutzt zur Erzeugung von Energie für die Gewinnung von Salz und Sole, undzwar in der „Salzwerks-oder Kokturmühle“. Das Wehr war zunächst eine sehr einfache Konstruktion aus Weidengeflecht, bestehend aus walzenförmigen Strauchbündeln, Faschinen genannt. Sie waren quer zum Flusslauf verlegt, füllten sich im Laufe der Zeit mit Sand und Steinen und mussten ständig aufwändig gewartet und repariert werden. So entstand aus dem Faschinenwehr ein sog. Überfallwehr aus Stein und Eichenholz. Dabei wurden Eichenholzpfähle und große Steinplatten in den Grund der Werre gerammt und mit Moos und kleinen Steinen verdichtet. Nach wie vor jedoch wurden die umliegenden Äcker der Werster Landwirte mehrfach im Jahr überschwemmt. Deshalb wurde 1864 das Überfallwehr durch das Nadelwehr ersetzt. Es bestand aus einem im Fluss verankerten Eisengerüst. Davor wurden die 2,55 m langen und 6,5 x 6,5 cm starken Holznadeln eingesteckt. Je nach Bedarf und Wasserstand wurden diese Nadeln gezogen oder gesteckt. Auf dem Eisengerüst befand sich quer über die Werre ein ca. 1 m breiter Laufsteg aus Holzbrettern. Eurer Vorstellungskraft wird nicht verborgen geblieben sein, dass diese Arbeit nicht ungefährlich war. Bei schlechtesten Wetterverhältnissen, auf sich allein gestellt, bei Tag und Nacht versahen die Sielwärter, auch Nadelwehraufseher genannt, ihren gefährlichen und verantwortungsvollen Dienst. Deren Unterkunft, ein kleines achteckiges Wärterhäuschen an der Südseite des Wehres, besteht noch heute.
Das heutige automatische Stauklappenwehr wurde zusammen mit der Sielbrücke in den Jahren 1956/57 erbaut. Auch die Tage dieses Wehres sind gezählt. Darauf komme ich nun im nachfolgenden Bericht über die Brücken zurück.
Am Anfang war die Furt. Seit Jahrhunderten gab es eine mit schweren Steinen befestigte Furt unterhalb des Wehres. Die Furt machte es möglich, dass bei Niedrigwasser die Werster Bauern ihre südlich der Werre gelegenen Äcker mit ihren Pferdefuhrwerken erreichen konnten. Eine erste und nicht ungefährliche Möglichkeit ergab sich für Fußgänger, denen es stillschweigend erlaubt war, ab 1864 den hölzernen Laufweg am Nadelwehr (Bild 1) mit zu benutzen. Doch nach einem Unfall war das Betreten durch Fußgänger nicht mehr erlaubt. Die Werster Bürger jedoch zeigten sich erfinderisch. In Eigenhilfe wurde unterhalb des Nadelwehres die Tonnenbrücke (Bld 2) gebaut. Sie bestand aus einer mit Ketten verbundenen Tonnenreihe, belegt mit Holzbohlen und Brettern. Na ja, es konnte schon lebensbedrohlich werden, wenn diese Konstruktion bei hohem Wasserstand und starker Strömung betreten wurde. Oft wurde die Brücke beschädigt oder von den Fluten der Werre mitgerissen. Eine „ordentliche und standfeste Brücke“ musste her, darüber waren sich die Werster einig. Und so wurde nach mehrfachen vergeblichen Versuchen in schwierigen Verhandlungen mit der Königlichen Badeverwaltung am 23. Oktober 1902 der Grundstein für eine feste Fußgängerbrücke gelegt. Diese Brücke wurde als unversteifte Hängebrücke (Bilder 3 und 4 mit Sielterrassen) mit zwei Drahtseilen und an Haltestangen aufgehängter hölzerner Brückenbahn konzipiert. Für den Festpreis von 7000 Mark begann der Hauptunternehmer Weserhütte mit dem Bau am 1. Novemer 1902 und übergab sie am 7. Mai 1903. Am 23. Juni 1903 wurde sie für den Fußgängerverkehr freigeben. Für die Pferdefuhrwerke allerdings musste weiterhin die steinern Furt benutzt werden. Gegen Ende des Kriegsjahres 1944 wurden Brücke und Nadelwehr schwer beschädigt. Bei der größten Hochwasserkatastrophe der letzten Jahrhunderte in der Nacht vom 8. auf den 9. Februar 1946 nahm sie weitere schwere Schäden, wurde aber immer wieder gesperrt und unter größten Schwierigkeiten repariert.
Als im Jahre 1956 eine vertragliche Einigung zwischen dem Staatsbad, der Stadt Bad Oeynhausen und der Gemeinde Werste erzielt wurde, war der Bau einer neuen Stahlbetonbrücke (Bild 5) beschlossen und das Ende der Hängebrücke besiegelt. Das Bad baute´die Brücke. Und weil die Grenze zwischen Stadt und Gemeinde in der Flussmitte lag, hatten beide Gebietskörperschaften die zukünftige Baulast je zur Hälfte übernommen. Die Brücke wurde gebaut vom Generalunternehmer Beton- und Monierbau aus Düsseldorf, ist 85,50 m lang, 3 m breit und hat einschließlich des neuen Stauklappenwehres rd. 1,5 Mio D-Mark gekostet. Am 5. September 1957 wurde sie eröffnet. Zu erwähnen sei noch, dass am 20. Oktober 1955 für die Bauzeit eine hölzerne Behelfsbrücke errichtet wurde. Sie befand sich in Höhe des Hauses Am Siel 14 und hatte, wie ihre Vorgänger, mit dem Werrehochwasser besonders im Sommer 1956 zu kämpfen. Die neue Stahlbetonbrücke war nun zu jeder Jahreszeit ohne Einschränkungen zu nutzen.
Und nun zur jüngsten Geschichte der Sielbrücken. Wie allseits bekannt, halten auch Stahlbetonkonstruktionen nicht ewig. Das wurde an der Stahlbetonbrücke sehr deutlich. Sie ist marode. Das Jahr 2016 war das Startjahr für eine neue Brücke (Bild 6). Nach einem von der Stadt ausgeschriebenen Gestaltungswettbewerb kürte eine Fachjury den Entwurf des Münchener Architekturbüros CES zum Sieger. Es sollte eine Brücke aus Cortenstahl werden. Das ist ein spezieller Edelstahl mit einer rostroten Oxydationsschicht, die nur oberflächig ist und darunter nicht weiter rostet. Mit dem Bau wurde das Stahlbauunternehmen Rohlfing aus Stemwede beauftragt. Im November 2021 wurde mit dem Bau begonnen. Die 100 m lange, 6 m breite und 240 Tonnen schwere Brücke wurde in drei Segmenten von je 33 m Länge und 80 Tonnen Gewicht angeliefert. Das Nordteil wurde am 6. Dezember 2022, das Südteil am 31. Januar 2023 und das Mittelteil in einer spektakulären Aktion am 19. April 2023 montiert. Die Neue Westfälische schrieb am 20. April 2023 von einem „Kranballett“, welches das Mittelstück passgenau einfügte. Bürgermeister Lars Bökenkröger gab zusammen mit Vertretern der Bezirksregierung und der ausführenden Firma am Montag, dem 11. September 2023, die Brücke für den Fußgänger- und Radfahrverkehr frei. Schließlich soll nicht unerwähnt bleiben, dass aus den ursprünglich kalkulierten Baukosten von 1,1 Millionen Euro aus verschiedenen Gründen dann doch etwa 3,8 Millionen Euro wurden, die zu 86 % von Land und Bund getragen werden.
Die gesperrte alte Stahlbetonbrücke einschließlich des Stauklappenwehres wird später im Zuge des Werreumbaues abgebrochen. Mehr dazu erfahrt Ihr unter der Rubrik „Aktuelles/Berichte“.
Am 12. Oktober 2024 wurde auf der Werster Seite der Werre in einer kleinen Feierstunde vor mehr als 40 Besuchern eine Informationsstele enthüllt. Sie enthält Kurzinformationen über die Geschichte der 7 früheren und heutigen Übergänge an dieser Stelle.
Quellen: Hans Kahre, Sielwehr und Sielbrücke an der Werre in Bad Oeynhausen (1753 – 1991), in Beiträge zur Heimatkunde der Städte Löhne und Bad Oeynhausen, Heft 13/14 (1991);Hans Kahre, Werre, Sielwehr und Kokturkanal in „150 Jahre Heilbad Oeynhausen“(1. Auflage 1998); Neue Westfälische, Ausgaben 25.01., 13.02., 20.04. und 12.09.2023; Wikipedia, Bild 6 Gerd Prinzhorn