Harren Hof
Vom Bauernhof zum Bürgerhaus und zum heutigen Restaurant
Von Gerd Prinzhorn – April 2024
Von Gerd Prinzhorn – April 2024
Diese Geschichte beginnt im Jahre 1569. Es ist die Geschichte eines der ältesten und größten Bauernhöfe und seiner Familie in Werste. Der Hof des damaligen Besitzers Lüdeke Harde, gelegen auf der Stätte Westerbauerschaft Nr. 3, gehörte zu den sechs abgabepflichtigen Halbmeierhöfen der Bauerschaft Werste. So geht es hervor aus einem Register über abgabepflichtige Höfe im bischhöflichen Amt Hausberge aus dem Jahre 1569. Um 1680 bestand die Westerbauerschaft aus 49 bekannten und bewirtschafteten Höfen, die abgabepflichtig waren.
Ein Halbmeier oder Halbspänner war der Besitzer eines Hofes, auch Colon genannt, mit 12 bis 24 ha Größe und stand entsprechend der damaligen Einteilung in Höfe- und Bauernklassen in der dörflichen Hirarchie an zweiter Stelle.
Nachfolger des Lüdeke Harde war der kurfürstliche Halbspänner Henrich Harde, der im Jahre 1622 geboren sein musste. 1682 entstanden die ersten Hofgebäude und um 1683 hatte der Hof eine Größe von etwa 60 Morgen, davon ca. 57 Morgen Saatland, ca. 2 Morgen Wiese und 1/2 Morgen Garten. Es sollten 84 Jahre vergehen, bis im Jahre 1756 wieder Aufzeichnungen aus Eintragungen in den Kirchenbüchern der Ev. Kirchengemeinde Eidinghausen zur Verfügung standen. So wird ein Johann Henrich Harre, geboren 1704, gestorben 1767, genannt, der in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts den Hof bewirtschaftet hat. Ein weiterer Johann Henrich Harre, wohl Sohn des Vorgenannten, lebte von 1741 bis 1817 auf dem Hof. Die Änderung der Schreibweise von Harde über Harden in Harre lässt sich erklären durch die verschiedenen Eintragungen in den Kirchenbüchern bei der Geburt der Nachkommen. Übrigens lebten um 1790 in Werste 429 Einwohner.
Die Bauern waren dem „Churfürsten“ lehnspflichtig, sie waren „Leibeigene“ und damit zu „Diensten und Abgaben“ verpflichtet. Übrigens muss es sich beim Hof Harre wohl um eine sehr wohlhabende Stätte gehandelt haben; das belegen die Aufzeichnungen über die umfangreiche Mitgift der Töchter, auch Brautschatz genannt.
Da kamen schon mal 200 Taler, 1 Pferd, 2 Kühe, 3 Rinder, 5 Schweine, ½ Fuder Korn, ein voller Brautwagen, Ehrenkleid, Weinkauf und Freibrief zusammen.
Der nächste „Colonus“ auf dem Hof war der 1792 geborene Johann Friedrich Conrad Harre, gestorben am 19. Oktober 1866. Der Hof wuchs in dieser Zeit auf 87 Morgen, dazu kamen
8 Morgen Wald im Wiehengebirge und 7 Morgen in der Blutwiese in Mennighüffen. Die Ländereien in Werste lagen zwischen der heutigen Ortsmitte und der Werre, und an der Handwerkerstraße der Harren Busch.
Der eben erwähnte Harre baute gemeinsam mit seinem 1821 geborenen Sohn Friedrich Wilhelm ein 1848 in der Ortsmitte fertiggestelltes Fachwerkhaus mit der historischen Bezeichnung
Werste Nr. 3, heute Werster Staße 114. Friedrich Wilhelm sodann baute zusammen mit seinem inzwischen verwitweten Vater dort ein weiteres Fachwerkhaus, weil das vorhandene nicht mehr ausreichte. Dieses zweite Gebäude wurde 1857 erbaut und steht noch heute als ein das Dorfbild prägendes Gebäude in der Dorfmitte. Der Hof wurde erweitert durch Stall, Remise, Backhaus und Werkstatt; Hoffläche, Gartenland und Obstgarten lagen drum herum (Bild 1, Lageplan). Friedrich Wilhelm gehörte etwa um 1850 dem ersten von den Werster Bürgern frei gewählten Gemeinderat an.
Mit Sohn Carl, geboren am 13. Dezember 1862, beginnt die Geschichte der vorletzten Generation
der Bauernfamilie Harre. Dieser Carl war wohl die markanteste Persönlichkeit aller Generationen auf Harren Hof. Mit 26 Jahren wurde er in den Gemeinderat gewählt und mit 34 Jahren zum Gemeindevorsteher. Dieses Amt übte er von 1896 bis 1924 aus. Von 1904 bis 1937 war der damals so genannte Vorsteher Harre u.a. auch Standesbeamter. In seiner fast drei Jahrzehnte dauernden Amtszeit wurden 1899 die Schule Süd gebaut, von 1898 bis 1900 die Flutmulde, und die Werster Straße, die Gohfelder Poststraße und die Ringstraße zwischen Werster Straße und Kirchbreite befestigt.
Bauer Carl und seine Frau Anna stellten ihr Hofgrundstück großzügig für viele Veranstaltungen im Dorf zur Verfügung. Fanden doch dort Versammlungen und Missionsfeste der Kirchengemeinde statt, der Turnverein hatte dort seine Übungsstätte und die Fußballer eine Wiese. Harren Hof war also auch der Treffpunkt der Werster Dorfjugend.
Im Alter von fast 77 Jahren verstarb Carl am 25. September 1939. Der jüngste Sohn Karl, geboren am 25. Mai 1911, übernahm den inzwischen auf 103 Morgen angewachsenen Hof. Auf Bild 2 sind die beiden letzten Generationen der Familie Harre abgebildet. Karl wurde 1943 zum Kriegsdienst eingezogen und kehrte erst am 23. Dezember 1948 aus jugoslawischer Gefangenschaft auf den Hof zurück. Bilder 3 und 4 zeigen den Hof um 1920.
Insbesondere seine Gesundheit und sein Alter haben Karl dazu bewogen, den Hof zu veräußern. Da er und seine Frau Anna kinderlos geblieben waren, konnte auch die Fortführung des landwirtschaftlichen Betriebes nicht sichergestellt werden. Seine guten Beziehungen zur Gemeinde und insbesondere zum damaligen Bürgermeister Wilhelm Bastemeyer haben ihn und seine Frau zum Verkauf an die Gemeinde bewogen. Und durch Vertragsschluss vom 7. August 1962 erhielt die Gemeinde rd. 74 Morgen Land, genau 184.356 qm. Harres ließen in Hofnähe Wohn- und Geschäftshäuser bauen, heute Werster Straße 116, und für sich selbst ein Einfamilienhaus an der Händelstraße 23, drum herum mit 7 Morgen Land. Dazu konnte man „Harren Koarl“ des öfteren sagen: „Ne Keoh un’n paar Schwuine well eck häolen, un’n Trecker äok, dat eck fäo de lüttgen Lüe näo ackern kann.“
Am 15. Dezember 1963 konnten Karl und Marie Harre in ihr neues Zuhause an der Händelstraße einziehen. Nur wenig später jedoch verstarb Karl am 16. September 1964 mit nur 53 Jahren; ein knappes Jahr später dann seine Frau Marie am 10. August 1965 im Alter von erst 42 Jahren.
Aus der von der Gemeinde erworbenen Fläche in bester Lage zwischen der Ortsmitte und der Werre wurde die „Harren Siedlung“ , wie sie in Werste genannt wurde. Es entstanden Einfamilienhäuser, von der Gemeinnützigen Siedlungs- und Wohnungsgenossenschaft Minden gebaute und teilweise geförderte Mietwohnungen, und einige Eigentumswohnungen, insgesamt um die 100 Häuser.
Die wichtigste Erschließungsstraße in Werste-Süd erhielt den Namen „Karl-Harre-Straße“.
Mit Vertrag vom 16. Januar 1963 hat die Gemeinde dann auch das Hofgebäude (Westerbauerschaft Nr. 3 – Werste Nr. 3 – Lange Straße 94 – Werster Straße 114) zur Größe von 2140 qm erworben.
1967 wurde der Hof als Bürgerhaus eingeweiht und diente den Werster Vereinen als Treffpunkt.
Der 1971 gegründete Vereinsring Werste richtete im Harren Hof nach und nach die „Werster Stube“ ein. 1992 konnte das 25-jährige Bestehen des Bürgerhauses gefeiert werden (Bilder 5 und 6). Unter den Überschriften „Harren Hof zeugt von Jahrhunderten des Bauernfleißes“ und „Harren Hof als Sinnbild für Heimatbegriff“ berichteten das Westfalenblatt am 12. Juni und die Neue Westfälische am 29. Juni 1992 von diesem Ereignis. Zu diesem Anlass wurde auch die dann so genannte „Heimatstube Werste“ der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Nach dem Verkauf des Harren Hofes im Jahre 2014 konnte auch die Heimatstube dort nicht mehr betrieben werden. Den „Verlust“ ihres Dorfgemeinschaftshauses (Bild 7) haben viele Werster sehr bedauert. Der Hof wird heute als Restaurant genutzt.
Im Rahmen des Förderungsprojektes „Dorferneuerung Werste“ ist der Platz vor dem Harren Hof, wie an anderer Stelle berichtet wird, zum Dorfplatz mit erhöhter Aufenthaltsqualität umgestaltet worden. In einer kleinen Feierstunde wurde der Platz durch unseren Bürgermeister Lars Bökenkröger am 18. Juni 2025 freigegeben.
Der Harren Hof mit seinem Umfeld ist und bleibt so der Mittelpunkt unseres Dorfes.
Quellen:
Hans Kahre „Harren Hof in Werste“ in Beiträge zur Heimatkunde der Städte Löhne und Bad Oeynhausen, Heft 10, 1983; Wilhelm Steinkamp „750 Jahre Werste“, 1982; Bild 4 Kalenderblatt Stadtsparkasse Bad Oeynhausen, 1987; Bild 5 Stadt Bad Oeynhausen, Juni 1992; Bild 6 Westfalenblatt vom 12.06.1992; Bild 7 Postkarte Verlag Hans Wagner, Vlotho, Farbkarte 722, um 1970